ACTIVIST INTELLIGENCE 👁 62 | | 2025-01

Die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) stellt nicht nur die Kunst- und Designwelt vor tiefgreifende Herausforderungen. Themen wie Nachhaltigkeit, Sicherheit und Urheberrecht rücken zunehmend in den Fokus – begleitet von der Sorge vor massivem Jobverlust und der Frustration vieler Künstler:innen und Designer:innen, die sich von der Technologie entfremdet fühlen oder sich ihr nicht anpassen möchten.

Doch so gravierend diese Probleme sind, eröffnen sich gleichzeitig faszinierende neue Möglichkeiten: KI kann kreative Prozesse erweitern, repetitive Aufgaben übernehmen und neue Formen der Zusammenarbeit ermöglichen. Mit innovativen Ansätzen lässt sich zudem ein Perspektivwechsel erreichen, der komplexe gesellschaftliche und ökologische Probleme neu beleuchtet. In der Medientheorie hat Marshall McLuhan bereits in den 1960er-Jahren darauf hingewiesen, wie tiefgreifend neue Technologien unsere Wahrnehmung und Kultur prägen (vgl. McLuhan, „Understanding Media“). KI führt uns dies heute auf besonders eindrückliche Weise vor Augen.

Resilienz als Fundament für Wandel
Angesichts rasanter technologischer Veränderungen fühlen sich viele Menschen von KI bedroht. Ängste vor Kontrollverlust, Monopolisierung und Jobabbau sind verständlich, können aber leicht zu Blockaden und Resignation führen. Hier setzt Resilienz an: Sie beschreibt die Fähigkeit, trotz Unsicherheit und Rückschlägen handlungsfähig zu bleiben, innere Widerstandskraft zu entwickeln und den Mut aufzubringen, Veränderungen aktiv anzunehmen.
In der Resilienzforschung (vgl. C. S. Holling, „Resilience and Stability of Ecological Systems“) gilt Resilienz als dynamischer Prozess: Systeme – seien es Ökosysteme oder Gesellschaften – können sich an neue Bedingungen anpassen, indem sie lernen, sich reorganisieren und potenzielle Krisen als Anstoß zur Transformation begreifen.

Resilienz ist keine bloße Durchhalteparole – sie ermöglicht uns, der Angst vor dem Unbekannten zu begegnen und KI konstruktiv zu gestalten. Wer resilient ist, akzeptiert den Wandel nicht nur, sondern gestaltet ihn mit. Dadurch werden KI-Systeme nicht als übermächtige Bedrohung wahrgenommen, sondern als Werkzeuge für Solidarität, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Dies erinnert an Hannah Arendts Betonung des „aktiven Handelns“ (vgl. Arendt, „Vita activa“), bei dem sich Menschen erst durch gemeinschaftliche Praxis einen Gestaltungsraum erschließen.

MANIFEST

Eine vereinfachte Zusammenfassung wichtiger Erkenntnisse und Denkanstösse finden sich im ACTIVIST INTELLIGENCE Manifest wider. Die Sammlung bildet wichtige Eckpunkte ab und ist als Orientierungshilfe gedacht.

WIR SIND BEREITS TEIL DES PROBLEMS
Wir konsumieren, produzieren Daten und nutzen bereits KI oder verwandte Produkte. Wir sind bereits Teil des Problems! Wir müssen erkennen, dass ein grundlegender Wandel erforderlich ist – im Umgang mit Digitalität, KI, Spielen und Automatisierung im Allgemeinen.
Erkennen allein reicht nicht. Wir müssen aktiv Räume schaffen, in denen digitale Prozesse nicht von oben nach unten diktiert werden. Jede:r kann eigene Daten zurückgewinnen, Tools gemeinsam entwickeln und Wissen teilen. Verweigere unkritischen Konsum, baue eigene Strukturen.

OFFEN, LOKAL, KOLLEKTIV
KI muss transparent, lokal und kollektiv im Besitz der Gemeinschaft sein. Wir lehnen Black-Box-Systeme ab. Wissen, Werkzeuge und Datensätze müssen frei zirkulieren und gegenseitige Hilfe sowie dezentrale Netzwerke stärken.
Dezentrale Netzwerke wie „Solid“ (Tim Berners-Lee) zeigen: Daten können im Besitz der Nutzer:innen bleiben. Künstler:innen nutzen lokale Rechenpower, bauen eigene kleine Datensätze oder trainieren generative Modelle im Verbund. Dezentralisierung ist kein Ideal – es ist Praxis.

STRUKTURELLE VERÄNDERUNG NICHT VERGESSEN
Es ist eine populäre neoliberale Position, individuelles Verhalten für Missstände verantwortlich zu machen. Doch das System selbst ist ebenso Teil des Problems!
Wir lehnen die Individualisierung von Verantwortung ab. Klimakrise, soziale Ungleichheit und digitale Ausbeutung sind strukturell. KI ist kein Privatbesitz. Regierungen müssen offene Plattformen fördern, lokale Netzwerke unterstützen und Monopole zerschlagen.
Dies korrespondiert mit Überlegungen von Bruno Latour (vgl. „Wir sind nie modern gewesen“), der Techniksphären, Gesellschaft und Natur als eng verflochtene Akteur-Netzwerke beschreibt.

MODELLE DIE UNS GEHÖREN
Wenn KI auf unsere Ressourcen aufbaut, dann gehört sie auch uns. Wir fordern Modelle, die sich an lokale Kontexte und die Bedürfnisse der Gemeinschaft anpassen, nicht an die Profitlogik großer Konzerne. Open-Source-Modelle müssen standardisiert und gesetzlich bevorzugt werden. Künstler:innen und Designer:innen dürfen nicht für die Nutzung generativer KI-Systeme zahlen, die mit ihren Werken trainiert wurden.

BLACK BOXEN ÖFFNEN
Jede:r hat das Recht, hinter die Fassade von Algorithmen zu blicken. Dekonstruktion ist kein Verbrechen – sie ist eine Notwendigkeit. Ein System, das sich nicht erklären lässt, dient nicht der Gesellschaft. Black-Box-KI ist ein Werkzeug der Ausgrenzung und Kontrolle.
Kritische Techniktheorie (vgl. Philip E. Agre, „Toward a Critical Technical Practice“) argumentiert, dass Transparenz und Reflexion in technischen Systemen fundamentale Voraussetzungen für eine demokratische Teilhabe sind.

DIESELBEN FEHLER NICHT NOCHMAL
KI darf nicht zum Spiegel bestehender Ungleichheiten werden – sie muss Werkzeuge für Gerechtigkeit und kollektive Selbstbestimmung bereitstellen. Weg von kompletter Automation – hin zu gemeinschaftlicher Programmierung.
Kunst- und Designströmungen im Geiste des „Social Design“ (vgl. Victor Papanek, „Design for the Real World“) setzen genau dort an und fragen, wie Technik zum Gemeinwohl beitragen kann.

OFFEN BLEIBEN
Eine breite Perspektive auf KI-Technologie ergibt sich erst, wenn alle Werkzeuge, Open- sowie Closed-Source, genau betrachtet werden. Hier gilt es, vorurteilsfrei, offen auf neue Services und Modelle zuzugehen und kreativ gestalterisch zu erproben. Anschließend müssen Vor- und Nachteile bzw. Kosten und Risiken abgewogen werden, um relevante Urteile erstellen zu können.

SLOW TECH METHODE
Fokus auf „Slow Tech“ – KI mit Bedacht nutzen. Kleine, spezifische Modelle verwenden. Nicht immer die neuesten, größten Systeme. Neue Entwicklungen aufmerksam beobachten, erproben und, wenn sinnvoll, in den eigenen Workflow integrieren. Keine blinde Adaption vom neuesten KI-Hype!

DIVERSITÄT BEWAHREN
Wenn generative Modelle fast ausschließlich mit populären Mainstream-Daten trainiert werden (z. B. weitverbreitete Bilder, Musik, Texte), verstärken sie dominante Trends und verdrängen Nischenkulturen. Es kommt zu einer „Datenkannibalisierung“, bei der KI letztlich immer wieder dieselben Referenzen „wiederkäut“. Maßnahmen hier: Regionale KI-Labore und -Archive stärken – Aktiv Datensätze kuratieren, die Minderheitenperspektiven, lokale Kulturen und marginalisierte Ausdrucksformen einschließen.

MEDIENKOMPETENZ TRAINIEREN UND TEILEN
Zunehmend werden KI-Modelle verwendet, um gezielt Falschinformationen zu verbreiten (Deepfakes, Chatbots mit fragwürdiger Faktenbasis). Die Manipulation der öffentlichen Meinung kann Wahlprozesse, Debattenkultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen. Menschen fällt es zudem immer schwerer, verlässliche Quellen von manipulierten Inhalten zu unterscheiden. Politische Forderung: Transparenz und Kennzeichnungspflicht & Medienkompetenz stärken – Individuell: Open-Source- und Fact-Checking-Communities fördern.

OPEN SOURCE

Heute dominieren große Technologieunternehmen die Entwicklung und Nutzung von KI. Ähnlich wie in der Ausstellung „Waste Age – What Design Can Do“, in der Graswurzelinitiativen und kleine Designer:innen gezeigt wurden, braucht es auch in der KI-Welt dezentrale, kollektive Ansätze. Dieser Gedanke knüpft an Ideen von Ezio Manzini an (vgl. „Design, When Everybody Designs“), die lokale Innovation, Gemeinschaftssinn und offene Prozesse betonen.

Kleine, angepasste KI-Tools
Ein möglicher Weg sind maßgeschneiderte KI-Tools, die lokal, offline-fähig und ressourcenschonend funktionieren. So wie nachhaltiges Design auf lokale Materialien zurückgreift, können Künstler:innen mithilfe von Open-Source-Plattformen wie Hugging Face eigene kleine Modelle trainieren und eine kreative Autonomie bewahren, ohne an die Infrastruktur großer Konzerne gebunden zu sein.

Zirkuläre KI-Praktiken
Analog zur Kreislaufwirtschaft im Design könnte KI-Entwicklung stärker auf ethische Datenerhebung, Wiederverwendung älterer Modelle und Minimierung von Cloud-Computing ausgerichtet werden. Community-basierte Trainingsdaten und lokal laufende KI-Systeme reduzieren Abhängigkeiten und senken den Ressourcenverbrauch. Das Projekt „BigScience“ ist ein Beispiel dafür, wie nachhaltige und transparente KI entstehen kann. Kate Crawford („Atlas of AI“) weist in diesem Zusammenhang auf die enormen Ressourcen hin, die KI-Systeme verschlingen – und plädiert für mehr Verantwortung und Transparenz.

KI-Kooperativen
In Anlehnung an solidarische Landwirtschaft (CSA) können Künstler:innen und Designer:innen KI-Modelle gemeinschaftlich entwickeln, trainieren und pflegen. Solche „KI-Kooperativen“ verwalten Datensätze und technische Ressourcen gemeinsam, wodurch kollektive Kontrolle und ethische Nutzung gestärkt werden. Kollektive Infrastrukturen wie „Collective Tools“ lassen sich auf KI-Systeme übertragen und eröffnen Möglichkeiten, jenseits marktgetriebener Großkonzerne zu arbeiten.

Brücken zwischen Digitalem und Körper schlagen

Oft wirkt KI abstrakt und losgelöst von unseren Sinnen – ein Faktor, der Apathie und Gleichgültigkeit begünstigt. Werden KI-Prozesse jedoch physisch erfahrbar, kann das Bewusstsein für Technologie und ihre Auswirkungen wachsen. Donna Haraway (vgl. „A Cyborg Manifesto“) betont, dass Körper und Technik untrennbar miteinander verwoben sind – dieser Gedanke kann gerade in der künstlerischen Praxis neue Impulse setzen.

KI als physisches Artefakt
Statt KI nur als unsichtbaren Code zu begreifen, können wir sie „greifbar“ machen: durch 3D-gedruckte Strukturen, die sich verändern lassen, durch tragbare Skulpturen oder interaktive Installationen mit haptischem Feedback. Künstler:innen wie Refik Anadol oder Ryoji Ikeda schaffen Installationen, die Datenflüsse visualisieren und spürbar machen. Ähnlich wie Ton kann KI also als formbares Material begriffen werden – ein Prozess, der Kreativität fördert und die Entfremdung abbaut.

Der menschliche Körper als KI-Schnittstelle
Was wäre, wenn wir KI nicht per Tastatur, sondern mit Bewegungen, Atmung oder Gesten steuern? Kleine KI-Modelle könnten auf Tanz, Körperhaltung oder Atemrhythmen reagieren und sich an individuelle Bedürfnisse anpassen. Diese Verkörperung von Technologie ermöglicht neue künstlerische Ausdrucksformen und stärkt die emotionale Bindung zwischen Mensch und KI. Der Performance-Künstler Stelarc hat gezeigt, wie Technik den Körper erweitern kann – und damit eine ganz unmittelbare Debatte über die Grenzen des Menschlichen auslöst.

Degrowth und digitale Suffizienz

Die Degrowth-Bewegung plädiert für ein radikales Umdenken: Statt unendlichem Wachstum rücken ökologisches Gleichgewicht und soziale Gerechtigkeit in den Vordergrund. Auf KI übertragen bedeutet dies, suffizient statt effizient zu gestalten. KI-Systeme sollten nur in dem Maße wachsen, wie es tatsächlich sinnvoll und notwendig ist. Beispiele sind: Lokal begrenzte KI: Modelle für spezifische Gemeinschaften, die wenig Energie verbrauchen und gezielt eingesetzt werden. Ebenso digitales Recycling: Daten, Modelle oder „fehlgeschlagene“ Generierungen nicht verwerfen, sondern in neuen Projekten weiterverwenden.

Die theoretischen Grundlagen für ein solches Denken kommen u. a. aus der Post-Wachstumsökonomie (vgl. Serge Latouche) und lassen sich im Design in Richtung „Pluriversum“ (vgl. Arturo Escobar, „Designs for the Pluriverse“) ausweiten – ein Ansatz, der lokale Lebenswelten, Diversität und Selbstbestimmung ins Zentrum rückt.

KI als PartnerIn, HerausforderIn und Erweiterung

KI als PartnerIn
KI kann repetitive oder beschwerliche Aufgaben optional übernehmen und Kreative entlasten. So bleibt Zeit für konzeptionelle, emotionale und physische Aspekte künstlerischen Schaffens. Ein hybrider Prozess entsteht, in dem KI Vorarbeit leistet und der „künstlerische Kern“ in menschlicher Hand bleibt.

KI als HerausforderIn
KI kann uns nicht nur assistieren, sondern auch herausfordern. Was, wenn KI gezielt individuelle Ideen hinterfragt, uns zu neuen Perspektiven anstößt und interdisziplinäre Kreativprozesse anregt? So wird KI zum Sparringspartner, der zu weiterführendem Denken und Handeln motiviert. Das erfordert jedoch kritisches Bewusstsein und ein Verständnis für die Grenzen maschineller Systeme (vgl. Bernard Stiegler, „Die Logik der Sorge“).

KI als Werkzeug für Kommunikation
KI kann helfen, die Kommunikation zwischen verschiedenen Lebensformen (Tiere, Pflanzen, sogar unbelebte Natur) zu erforschen. „Interspecies Communication“ schafft Bewusstsein für die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt und verdeutlicht die Notwendigkeit eines respektvollen Umgangs mit natürlichen Ressourcen. Künstlerische Arbeiten von Natalie Jeremijenko etwa versuchen, die Stimme von Tieren und Umwelt durch interaktive Installationen zu verstärken.

Bildungsaspekte und kollektive Imagination

KI in Bildung und Empowerment
KI kann Bildungsprozesse individualisieren und so helfen, Barrieren abzubauen. Von interaktiven Lernplattformen bis zu KI-Tutoren, die auf persönliche Bedürfnisse eingehen, entstehen neue Chancen für soziale Teilhabe. Entscheidende Frage: Wer kontrolliert und gestaltet diese Bildungstools?
Carl DiSalvo („Adversarial Design“) betont, dass Design – und damit auch KI – kritische Auseinandersetzungen ermöglichen sollte, statt nur Konsum und Anpassung zu fördern.

Der Spalt zwischen Wissen und Handeln
Wir kennen viele Probleme und ihre Ursachen – doch oft scheitern wir an der Umsetzung. Systemische Trägheit, Bequemlichkeit oder das Gefühl der Machtlosigkeit bremsen Engagement aus. KI kann hier unterstützen, indem sie konkrete Handlungsschritte anbietet oder kleine, machbare Mikroaufgaben identifiziert, die im Kollektiv zu großen Veränderungen führen.

Radikale kollektive Imagination
Es fehlt oft nicht an Wissen, sondern an dem Glauben, dass eine andere Zukunft möglich ist. Mit KI lassen sich spekulative Zukunftsszenarien generieren, die jenseits von Dystopien konkrete Alternativen aufzeigen. Niederschwellige, illustrierte Visionen alternativer Zukünfte machen diese erfahrbar und bestärken Menschen darin, aktiv an der Gestaltung postkapitalistischer Szenarien mitzuwirken. Design-Philosoph:innen wie Anthony Dunne und Fiona Raby („Speculative Everything“) verstehen solche spekulativen Ansätze als Motor für gesellschaftlichen Wandel.

Die Schuld des Individuums vs. struktureller Wandel

Die aktuelle technologische Entwicklung – insbesondere im Bereich der KI – ist eng mit kapitalistischen Marktmechanismen verknüpft. Statt kollektiven Fortschritt zu fördern, entstehen profitgetriebene Produkte, die von wenigen Konzernen kontrolliert werden. Oft wird die Verantwortung für nachhaltige und ethische Nutzung auf den Einzelnen abgewälzt, während grundlegende Machtstrukturen unangetastet bleiben.

Ein echter Wandel erfordert jedoch nicht nur individuelles Umdenken, sondern eine radikale Neugestaltung unserer Wirtschaft und Märkte: Weg vom Wachstumszwang, hin zu kollaborativen Eigentumsformen und gemeinschaftlicher Kontrolle technischer Ressourcen. So lässt sich Ohnmacht überwinden und eine resiliente, zukunftsfähige Kultur schaffen, in der KI den Menschen dient – nicht umgekehrt. Diese Idee greift auch auf Ansätze des „Commoning“ (vgl. Silvia Federici, „Re-Enchanting the World“) zurück, bei denen Gemeingüter geschützt und gemeinschaftlich verwaltet werden.