.

Redaktion für Synthetische Erinnerung

Zeitungsartikel erschienen in der September Ausgabe des Magazins New Scientist in 1988

Aus der Not eine Tugend
Die Ursprünge der Redaktionen für Synthetische Erinnerung reichen zurück in die späten 1980er-Jahre, als die ersten digitalen Geräte wie der KC85, Commodore C64 und Amiga in den Wohnzimmern und Hobbykellern des Ostens Deutschlands Einzug hielten. Besonders im Süden Leipzigs entwickelte sich eine lebendige Szene, in der technikaffine Pionier*innen die Grenzen des Möglichen ausloteten.

Der Zugang zu moderner Technik war in der DDR jedoch stark eingeschränkt. Dieser Mangel zwang die frühen Hobbyerfinder zu kreativen Lösungen, die ihre Zeit weit voraus waren. Mit Disketten, Bändern und selbstverwalteten Hobbyfunker-Netzwerken experimentierten sie an einfachen neuronalen Netzwerken. Trotz bescheidener Mittel konnten diese Netzwerke Texte und sogar Bilder in erstaunlich authentischer Qualität erzeugen – wenn man lange Wartezeiten einplant.

Breitere Aufmerksamkeit
Während die anfänglichen Projekte eher technischer Natur waren, schwappte die Aufmerksamkeit auf diese Technologie schnell in eine breiter Öffentlichkeit, da die Netzwerke in der Lage waren, schöne Urlaubsfotos zu generieren ( Ausladsreisen waren kaum erlaubt ) oder missglückte Bilder zu „retten“. Mit der wachsenden Aufmerksamkeit wurde den Aktivist*innen auch das ethische und gesellschaftliche Potential ihrer Arbeit bewusst – sowohl im Positiven als auch im Negativen. Um Missbrauch zu vermeiden und die Technologie in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, entwickelte die aktive MitgliederInnen der Szene einen Kodex, der bis heute die Grundlage der Arbeit aller SYN-Redaktionen bildet. Dieser Kodex legt fest:

„Jede SYN-Redaktion hat den Auftrag, Inhalte zu erschaffen, die für uns geschichtlich von Bedeutung sind, aber durch welche Umstände auch immer, ungesehen oder unfotografiert geblieben sind. Ziel ist es, uns zu vergewissern, ob unsere Erinnerungen objektiv sind – oder ob sie durch die Zeit subjektiv geprägt wurden. Unser Ziel ist das beste Lernen aus dem was geschehen ist.“

Im Untergrund
Das DDR-Regime und die Stasi standen dieser Bewegung äußerst kritisch gegenüber, weshalb sich die Aktivistinnen gezwungen sahen, äußerst vorsichtig zu agieren. Über die selbstverwalteten Netzwerke tauschten sie codierte Botschaften aus, die vom Staatsapparat weder mitgelesen noch geortet werden konnten. Die dezentrale Architektur des Netzwerks ermöglichte es zudem, über die Staatsgrenzen hinaus zu kommunizieren. Dadurch standen die Redaktionen in engem Austausch mit KollegInnen aus der BRD und einer besonders aktiven Szene in Großbritannien.

Folge dessen waren Reihen von Reportagen und Artikeln in Großbritannien, die sowohl die Arbeit der Redaktionen als auch die besonderen Umstände, unter denen sie agierten, eindrucksvoll porträtierten. Diese Berichte trugen maßgeblich dazu bei, die Innovationen und die Widerstandskraft der Szene einem internationalen Publikum bekannt zu machen.

Zeitungsartikel erschienen in der Mai Ausgabe der Magazin Crash in 1987


zuletzt geändert: 2024-12