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My Favorite False Memories ( work in progress )

My Favorite False Memories ist eine Serie von Bildern, die auf den ersten Blick einer privaten Fotosammlung entstammen könnten. Wir entdecken stereotype, austauschbare Motive des privaten familiären Glücks und Miteinanders, die wir der Wendezeit in Deutschland zuordnen könnten. Doch alle Arbeiten dieser Serie sind rein fiktional und wurden synthetisch erstellt.


Zur Reihe

Die Herausforderung und Grundlage der Reihe besteht darin, authentisch wirkende, in sich stimmige Kompositionen zu erzeugen, die mit der damaligen Technologie hätten aufgenommen werden können. Das handwerkliche Ziel ist es, typische Kameraperspektiven, Bildkompositionen, Linsen und Filmmaterialien durch generative KI-Technologien nachzuahmen, unter Einsatz von ControlNet und selbst trainierten LoRa-Netzwerken. Dadurch soll ein Freiraum für den Betrachtenden geschaffen werden, der von Schlüssigkeit geprägt ist und den Fokus auf die Bildmotive und das Medium selbst lenkt. In diesem Freiraum eröffnen sich spielerische Möglichkeiten – etwa durch die Platzierung von Gegenständen oder Materialien, die ihrer Zeit nicht entsprechen, oder Personen, die nicht den üblichen Stereotypen entsprechen.

So entdecken wir beispielsweise junge Menschen, die innig beieinander sind, ohne klassischen Geschlechterrollen zu entsprechen, eine Frau, die nackt an einem Waldsee badet, oder Stadtkinder, die in Baustellenpfützen spielen. Dokumentarisches und Fiktion verschwimmen vor den Augen der Betrachter und fordern sie dazu auf, eigene Interpretationen und Einordnungen zu entwickeln. Die bewusste Ambivalenz dieser Werke soll die Betrachtenden dazu anregen, ihre eigenen Narrative zu erschaffen.

Individuelle Erinnerung

In der privaten Amateurfotografie begegnen uns immer wieder die gleichen Motive: der schöne Blumenstrauß auf dem Tisch, das Kind, das im Sandkasten spielt, oder ein Gruppenfoto von lächelnden Verwandten. Wir halten diese individuellen Momente fest, um uns später gemeinsam daran erinnern zu können. Aber was macht ein Foto wirklich individuell, wenn wir viele formale Ähnlichkeiten erkennen? Ist es nicht die eigene, durch das Foto ausgelöste Erinnerung, die das Bild für uns zu einem besonderen, individuellen Schatz macht?

Kollektive Erinnerung

Vereinfacht ausgedrückt: Der rohe Output generativer KI spiegelt oft einen Querschnitt vieler Stereotypen wider – sei es in der Darstellung von Personen, Gegenständen oder ganzen Umgebungen. Trotz der oft beeindruckenden visuellen Qualität ist diesen Ergebnissen nicht zu trauen. Das neuronale Netzwerk halluziniert einen scheinbar plausiblen Output basierend auf dem eingegebenen Prompt. Die Verantwortung, diesen visuellen Output zu bewerten, einzuordnen und entsprechend feinfühlich umzuformen, liegt in der Verantwortung des Gestaltenden.
Das Spiel mit visuellen Stereotypen und Haluzinationen, die der genKI durchaus inne wohnen, verlangt eine geschärfte Wahrnehmung und präzise gestalterische Eingriffe. Dies ist zum eine anspruchsvolle Herausforderung, die in viele kulturelle Bereiche greift – zum Anderen eine Möglichkeit sich auf neuer Weise mit kollektiver Erinnerung zu beschäftigen.

Erinnerungskultur – synthetische Erinnerung

Wir können uns nicht nur individuell, sondern auch gemeinsam Erinnern. In dieser Form des Dialog verschmelzen individuelle Eindrücke – bzw. können individuelle Lücken oder Fehldeutungen durchaus in authentischer Richtungen verschoben werden. Erinnerung ist eine kollektive Leistung. Generative KI kann in Form von spezifisch trainierten Modellen Darstellungen von äußerst spezifischen erzeugen. Durch das gemeinsame Auge und den entsprechenden Dialog entstehen daraus synthetische Erinnerungen, die wir als eine weitere Manifestation der Erinnerungskultur einordnen können.

UN-Fake?

„Die gefährlichsten Fakes sind immer noch die, in denen auch ein Fünkchen Wahrheit steckt. Doch genau die sind am schwierigsten zu erkennen – von Mensch und KI.“ ( Prof. Martin Steinebach – Fraunhofer Magazin 2|24 )

Greifen wir für einen Moment diesen relevanten Hinweis auf und denken ein wenig weiter: Mit genKI sind wir in der Lage ganze Motive bis ins kleinste Details auszugestalten und auch nachträglich zu modifizieren. Lassen wir die Absicht der Manipulation für einen Moment aussen vor, stellt sich die Frage: Ab welchem Moment wird aus dem Fake ein relevantes Narrativ? Wo genau verläuft die Trennung zwischen Manipulation und Narrativ?

Interpolation

Ein weiterer faszinierender Aspekt ist die Interpolation fotografischer Arbeiten in Bewegtbild. Bestimmte Posen, Kameraperspektiven oder filmspezifische Merkmale werden von entsprechenden KI-Modellen in stereotyper Form fortgeführt. So wird die Abbildung eines laufenden Menschen auf einem Foto mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine Animation eines laufenden Menschen überführt. Diese Kausalität ist eng mit dem üblichen Trainingsmaterial verbunden, das aus einer riesigen Menge an Videoclips besteht.

Wenig Kontrolle bei Bewegtbild

Wie bei der Entwicklung von Fotokompositionen mit generativer KI steht auch bei der Erstellung von Bewegtbild das Narrativ im Vordergrund. Was soll vermittelt werden? Was ist plausibel? Im Gegensatz zur Entwicklung statischer Bilder ist die Palette an Werkzeugen zur Kontrolle von Bewegtbild noch stark eingeschränkt. Die Gestaltung ist hier momentan stark dem Zufall überlassen, was die Weiterverwertbarkeit erheblich begrenzt.


Ausblick

Anschliessende künstlerische Forschungsrichtungen:

Ethik und Manipulation:
– Forschung zur Dekonstruktion und Subversion von Stereotypen in KI-generierten Werken.
– Untersuchung der ethischen Implikationen von generativer KI in der Kunst.
– Risiken der Manipulation und der Verbreitung falscher Erinnerungen.

Langzeitwirkung
– Analyse der langfristigen Auswirkungen von KI-generierten Bildern und Videos auf kollektives Gedächtnis und Kultur.

Erweiterte Kontrolle über Bewegtbild-Kreation
– Entwicklung neuer Methoden und Tools, um mehr Kontrolle über die Erstellung von Bewegtbild durch KI zu erlangen.

OUR FAVORITE FALSE MEMORY

Mit generativer KI kann man heute Fotos, Audio oder Videos erzeugen, die kaum von authentischen Aufnahmen zu unterscheiden sind. Derzeit betrachten wir diese Werke in einem Spektrum aus heiterer Anekdote bis hin zur problematischen Manipulation. Mit dem Seminar OFFM möchten wir dieses Spektrum um neue künstlerisch-gestalterische Perspektiven erweitern.
Die Teilnehmer*innen des Seminars sind eingeladen, in Partnerarbeit mit einer Person oder Gruppe ihrer Wahl eine gemeinsame, synthetische Erinnerung zu gestalten. Diese Erinnerung kann auf tatsächlichen Erlebnissen basieren oder rein fiktiv sein. Folgende Fragen stellen sich dabei: Was verstehen wir eigentlich unter einer Erinnerung? Welche Medien und Werkzeuge eignen sich, um synthetische Erinnerungen zu gestalten? Was ist erzählenswert, was ist vermittelbar? Worin unterscheiden sich individuelle von gemeinsamen Erinnerungen? Wie verändert sich eine Erinnerung im Laufe unseres Lebens? Was verstehen wir unter Erinnerungskultur, und wie hängt diese mit unserer Gegenwart und Zukunft zusammen?
Als Ergebnis des Seminars sind Bildreihen bis hin zu Animationen erwünscht, die einerseits Zugang zu einer niederschwelligen Erzählung bieten und andererseits generative KI als Werkzeug kooperativer Gestaltung erproben und definieren.
Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung beinhaltet das Seminar auch eine praktische Einführung in Open-Source Werkzeugen zur Erstellung von Bildern und Videos sowie in das Training und die Anwendung eigener bildgebender Netzwerke. Programmierkenntnisse sind nicht erforderlich. Es ist jedoch zu beachten, dass wir im Seminar neben etablierten Werkzeugen vor allem mit neuen und experimentellen Tools arbeiten werden, die sich ständig weiterentwickeln. Das bedeutet: Experimentierfreude, Flexibilität, Ausdauer und Leidenschaft im Umgang mit generativen Werkzeugen sind unbedingt erforderlich. Der sichere Umgang mit Windows oder Linux ist hilfreich, aber keine Voraussetzung.


zuletzt geändert: 2024-09